HamburgischeBuergerschaft

Plenarsaal der Bürgerschaft im Hamburger Rathaus. Wenn die Senatsmehrheit im Landesparlament wie geplant im Sommer 2014 das Gesetz zur Weiterentwicklung des Hochschulrechts verabschiedet, erhalten die Hochschulen die Aufgabe, Online-Kurse anzubieten. Leistungen, die Studierende online erbringen, sollen anerkannt werden und Online-Veranstaltungen deputatswirksam sein. Foto: Christoph Braun/gemeinfrei

Der vom Hamburger Senat Mitte Januar 2014 beschlossene Gesetzentwurf für eine Reform des Hamburgischen Hochschulrechts sieht Online-Kurse als neue gemeinsame Aufgabe der Hochschulen vor. Zudem sollen Leistungen, die Studierende online erbracht haben, im Rahmen der Studien- und Prüfungsordnungen anerkannt werden. Um das Online-Angebot der Hochschulen zu verbreitern, wird auch die Lehrverpflichtungsverordnung (LVVO) geändert: Lehrende sollen bis zu 25% ihrer Lehrverpflichtung durch Online-Veranstaltungen erfüllen können.

Das Ziel: Unterschiedliche Studierangebote auf dem aktuellen Stand der Hochschuldidaktik

Mit der vorgesehenen Verpflichtung der Hochschulen, zur „Verbreiterung des Angebots […] Online-Kurse in geeigneten Fällen anzubieten“ (Senatsmitteilung mit Gesetzentwurf, S.6), bekräftigt der Senat, was sich bereits im ersten Gesetzentwurf vom Juni 2013 abzeichnete. Zur Begründung teilt der Senat mit, Online-Kurse (und duale Studiengänge) würden

„im Rahmen des Möglichen verpflichtend für die hamburgischen Hochschulen eingeführt, um unterschiedliche Studierangebote und eine für zukünftige Entwicklungen im hochschuldidaktischen Bereich offene Regelung zu schaffen.“Senatsmitteilung mit Gesetzentwurf, S.29

Online-Kurse als Hochschulaufgabe

Der § 3 des Hochschulgesetzes mit den Gemeinsamen Aufgaben der Hochschulen soll folgenden neuen Absatz erhalten:

„Die Hochschulen bieten Online-Kurse nach § 58 Absatz 2 an.“a.a.O., S.32

Leistungen aus Online-Kursen sollen Studierenden angerechnet werden

Mit dem neuen § 58 soll laut Senatsmitteilung „die Anrechnung von Leistungen im Rahmen von Online-Kursen auf das Studium rechtlich abgesichert und zugleich ein Anknüpfungspunkt für die neue Hochschulaufgabe aus § 3 Absatz 14 […] geschaffen [werden]“ (a.a.O., S.62). Wird das Gesetz verabschiedet, lautet er:

§ 58 Fernstudium; Online-Kurse
(1) Eine in einer Prüfungs- oder Studienordnung vorgesehene Leistung wird auch durch die erfolgreiche Teilnahme an einer staatlich anerkannten Fernstudieneinheit nachgewiesen, wenn die Einheit dem entsprechenden Lehrangebot des Präsenzstudiums gleichwertig ist; die Teilnahme an einer solchen Fernstudieneinheit wird wie das entsprechende Präsenzstudium auf die Studienzeit angerechnet.
(2) Absatz 1 gilt entsprechend für Leistungen, die im Rahmen von Studieneinheiten erbracht werden, die über ein elektronisches Datenfernnetz angeboten werden (Online-Kurse).Siehe dazu a.a.O. S.36f. und die jetzige Fassung des § 58.

Eine weitere Änderung könnte die Rechtssicherheit von online erbrachten Prüfungsleistungen verbessern. Die Änderung betrifft die Bereiche, in denen Hochschulen sich die Eigenständigkeit einer wissenschaftlichen Leistung eidesstattlich versichern lassen können. Solche Versicherungen können zukünftig bei Abschlussarbeiten, Dissertationen und Habilitationen verlangt werden – und bei nicht unter Aufsicht erbrachten Zwischenprüfungen:

„Auf Grund von Satzungen können die Hochschulen entsprechende Versicherungen an Eides Statt auch bei nicht unter Aufsicht angefertigten schriftlichen Prüfungsleistungen für Aufnahme-, Eingangs- und Zwischenprüfungen verlangen und abnehmen.“Senatsmitteilung mit Gesetzentwurf, S.37

Mit Online-Veranstaltungen können Lehrende ihre Lehrverpflichtung erfüllen

Der Gesetzentwurf sieht außerdem vor, der LVVO einen neuen Paragrafen hinzuzufügen, der die Deputatswirksamkeit regelt:

㤠5a Online-Veranstaltungen
Lehrveranstaltungen, die in interaktiver Form über ein elektronisches Datenfernnetz durchgeführt werden (Online-Veranstaltungen), werden in entsprechender Anwendung der §§ 4 und 5 auf die Lehrverpflichtung angerechnet. Die Anrechnung setzt voraus, dass die Lehrveranstaltungen während ihrer Durchführung von der Lehrperson aktiv betreut werden. Entspricht die zeitliche Belastung der Lehrperson einschließlich Vor- und Nachbereitung nicht mindestens derjenigen für eine Veranstaltung nach § 4, so wird die Anrechnung verhältnismäßig vermindert. Die Anrechnung ist auf 25 vom Hundert der Lehrverpflichtung der Lehrperson begrenzt; die Hochschule kann hiervon Ausnahmen genehmigen, sofern ein besonderes dienstliches Interesse besteht.“a.a.O., S.50

Meines Erachtens verweist die 25%-Deckelung – sie wird nach dem Vorbild anderer Bundesländer in der LVVO festgeschrieben – implizit auf die Bedeutung der didaktischen Konzeption neuer Online-Lernangebote. Zum Glück sieht der Gesetzentwurf eine „interaktive Form“ von Online-Veranstaltungen vor, in der die Studierenden von ihren Lehrenden aktiv betreuet werden. Denn nur wenn diese Anforderungen erfüllt sind, können Online-Veranstaltungen ein Studienangebot womöglich in didaktischer Hinsicht verbessern: Studierende dazu anregen und sie dabei unterstützen, sich intensiv mit den Lehrinhalten auseinanderzusetzen, etwa durch vielfältige Selbsttests mit differenziertem Feedback oder durch betreute Gruppenarbeiten in einem Wiki.

Damit würden die Hochschulen tatsächlich mehr anbieten als nur neue Möglichkeiten, flexibler zu Studieren. Lehrende, die sich mit solchen Ideen engagieren, ermuntert das Gesetz; es gibt ihnen eine gewisse Rechtssicherheit. Doch offenbart die 25%-Deckelung nicht zugleich ein gewisses Misstrauen gegenüber dem, was eigentlich gefördert werden soll? Wichtig ist nach meiner Auffassung insbesondere, didaktische Qualitätsaspekte von Online-Veranstaltungen zu beschreiben und die Orientierung daran zu gewährleisten.

Es wird sich kaum messen lassen, ob die Gewissheit, dass auch in Zukunft höchstens ein Viertel der Lehre aus Online-Veranstaltungen bestehen wird, zur Förderung und Sicherung didaktischer Qualität beiträgt. Oder ob sie eher das Gegenteil bewirkt. Vielleicht ist die Deckelung in Anbetracht der Freiheit von Forschung und Lehre sogar positiv zu bewerten? Das Risiko, dass Studierende zukünftig einigen uninspirierten Online-Kurskonzepten ausgesetzt sein werden, könnte ohne die Einschränkung jedenfalls größer sein.

Gesetz ermöglicht Hochschulen die Einführung didaktischer Qualitätsstandards

Technische und didaktische Qualitätsvorgaben zu etablieren, soll der neue § 20 LVVO („Nachweise, Berichtspflichten, Gesamtlehrleistung“) ermöglichen. Hinter Absatz 1 soll der folgende Absatz 2 eingefügt werden:

„(2) Im Falle von Online-Veranstaltungen (§ 5a) hat die Lehrperson dem zuständigen Organ der Hochschule die erforderlichen Auskünfte und Nachweise vorzulegen, um eine Nachprüfung der Erfüllung der Lehrverpflichtung zu ermöglichen. Die Hochschule kann die Anrechnung auf die Lehrverpflichtung davon abhängig machen, dass bestimmte technische und didaktische Mindestanforderungen erfüllt werden; diese Mindestanforderungen sind auf geeignete Weise bekannt zu machen.“a.a.O., S.50

Wer kann solche Mindeststandards festlegen, wie detailliert dürfen sie sein und wie verbindlich?

Hochschulen sollen für die Entwicklung von Online-Veranstaltungen Ermäßigungen der Lehrverpflichtung einräumen können

Eine weiteres Vorhaben des Gesetzgebers bezieht sich auf den Aufwand zur Erstellung anspruchsvoller Online-Konzepte. Die Hochschulen erhalten – zumindest theoretisch – die Möglichkeit, Lehrenden für die Entwicklung von Online-Veranstaltungen einen Anreiz zu bieten: Zeit.

Jeder Hamburger Hochschule steht laut § 17 LVVO ein bestimmtes Kontingent an Lehrveranstaltungsstunden für „sonstige Aufgaben“ zur Verfügung. Dieses Kontingent dient dazu, die Lehrverpflichtung einer Wissenschaftlerin oder eines Wissenschaftlers zu ermäßigen oder ganz aufzuheben, solange sie beispielsweise Aufgaben in der Selbstverwaltung der Hochschule wahrnimmt. Entwickelt eine Lehrende oder ein Lehrender Online-Veranstaltungen, soll sich damit ein Antrag auf Ermäßigung oder sogar Aufhebung der Lehrverpflichtung begründen lassen (vgl. a.a.O., S.51). Der neue § 17, Abs. 1 LVVO im vorgesehenen Wortlaut:

„§ 17 Kontingent für sonstige Aufgaben
(1) Die Lehrverpflichtung kann zur Wahrnehmung von Aufgaben in der Selbstverwaltung oder der staatlichen Auftragsverwaltung der Hochschule, für die Entwicklung von Online-Veranstaltungen nach § 5a oder für Aufgaben im öffentlichen Interesse außerhalb der Hochschule ermäßigt oder aufgehoben werden, wenn die betreffende Aufgabe die Ausübung der Lehrtätigkeit ganz oder teilweise ausschließt.“vgl. ebd. und den bisherigen § 17 LVVO

Dass hiermit der bei der Erstellung von Online-Angeboten anfallende Aufwand gewürdigt werden soll, wird in der Gesetzesbegründung betont:

„Durch diese Regelung soll die Entwicklung von Online-Angeboten in der Lehre gefördert werden. Zu diesem Zweck wird die Möglichkeit eröffnet, für die Entwicklung solcher Angebote eine Lehrermäßigung zu gewähren. Hierdurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass es regelhaft sehr aufwändig ist, solche Angebote fachlich-inhaltlich, didaktisch und technisch
zu entwickeln.“Senatsmitteilung mit Gesetzentwurf, S.82

Niemand ist verpflichtet, MOOCs anzubieten!

Interessant finde ich noch eine Erwiderung des Senats auf Kritik von Fakultätsräten, Dekanaten und Präsidien an der Verbindlichkeit der Regelung (vgl. Senatsmitteilung und Gesetzentwurf, S.24):

„Die Pflicht zur Einführung von Online-Kursen ist nicht flächendeckend, sondern bleibt auf geeignete Bereiche beschränkt (vgl. Gesetzesbegründung). Im Übrigen hält der Senat daran fest, entsprechende Angebote an den staatlichen Hochschulen ausbauen zu wollen. Dies wird vielerorts bereits erfolgreich praktiziert. Im Übrigen verbleibt den Hochschulen auch zukünftig ein beträchtlicher Gestaltungsspielraum, in welchem Umfange und auf welche Art sie entsprechende Angebote erbringen wollen. Insbesondere sind die Hochschulen nicht verpflichtet, sogenannte ‚MOOCs‘ durchzuführen. Vielmehr genügen auch Formen des anerkannten eLearnings.“ebd.

Der Senat legt also Wert auf die Feststellung, dass die Hochschulen auch mit dem neuen Hochschulgesetz nicht verpflichtet sein werden, MOOCs durchzuführen. Und es gibt weitere Beispiele dafür, dass die Idee der frei zugänglichen Online-Hochschulkurse erstaunlich weit in die fachfremde Diskussion vorgedrungen ist. Aber das ist eine andere Geschichte. Der Gesetzentwurf soll nun an den Wissenschaftsausschuss weitergeleitet und noch vor der parlamentarischen Sommerpause der Hamburger Bürgerschaft zur Abstimmung vorgelegt werden.

[Update 21.03.2014: Dr. Angela Peetz hat mich auf eine Gesetzesänderung aufmerksam gemacht, die die Rechtssicherheit von Online-Tests verbessern könnte. Diese hatte ich bislang nicht berücksichtigt, jetzt wurde sie oben eingearbeitet.]

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